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Wann nehme ich welche Verteilung?

Von Uwe Wehrspohn und Dietmar Ernst.

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Inhalt

1.  Verteilungen für den Eintritt des Risikos

    1.1.  Bernoulli-Verteilung

    1.2.  Binomial-Verteilung

    1.3.  Poisson-Verteilung

2.  Verteilungen für die Auswirkungen des Risikos

    2.1.  Konstante Verteilung

    2.2.  Die Gleich- oder uniforme Verteilung

    2.3.  Dreiecks-, PERT- und modfizierte PERT-Verteilung

    2.4.  Trapezverteilung

    2.5.  Custom-Verteilungen

    2.6.  Normalverteilung

    2.7.  Lognormalverteilung

    2.8.  Weibull-Verteilung

    2.9.  Automatische Kalibrierung der Verteilungen

    2.10.  Compound-Verteilung

3.  Anwendung der Verteilungen im ERM

 

Eine der am häufigsten gestellten Fragen im Enterprise Risk Management ist, ‚wann nehme ich welche Verteilung für die Darstellung von Unternehmensrisiken?‘ Sie wird von Anfängerinnen und Anfängern genauso gestellt wie von erfahrenen Risikomanagerinnen und Risikomanagern, die vor der Aufgabe stehen das Kapitel des quantitativen Risikomanagements neu im Unternehmen aufzuschlagen.

Eine kanonische Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Es ist nicht so, dass die finanziellen Schäden eines Produktionsausfalls aufgrund einer Überschwemmung des Werksgebietes generell einer Dreiecks- oder einer Normalverteilung gehorchen. Dasselbe gilt für alle anderen Arten von Risiken.

Wir können uns jedoch die Eigenschaften vieler wichtiger Verteilungen vor Augen führen und dann prüfen, welche Verteilung mit ihren Eigenschaften in einer konkreten Situation am besten passt.

Wir können auch thematisieren, wie man die Parameter einer Verteilung bestimmen kann und ob dies in der jeweils vorliegenden Situation praktisch möglich ist. Denn nur, wenn wir eine gewählte Verteilung auch parametrisieren können, können wir sie auch verwenden.

Bei der Erhebung und Bewertung von Risiken im Risikomanagementprozess ist das sogar ein zentraler und heikler Schritt, denn viele Risikoexpertinnen und -experten, die den Sachzusammenhang beurteilen müssen, sind in der Regel keine Risikomanagerinnen und Risikomanager, sondern verantworten ganz andere Aufgaben im Unternehmen. Sie müssen dennoch in der Lage sein zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.

Im Alltag der Unternehmen spielt die Bestimmung der Parameter bei der Auswahl von Verteilungen im Enterprise Risk Management (ERM) daher oft die zentrale Rolle. Es werden praktisch nur Verteilungen eingesetzt, die einfach zu erklären sind und mit Hilfe von Experteneinschätzungen parametrisiert werden können. Parametrisierungen durch die statistische Auswertung von Daten über das Risiko spielen nur eine Nebenrolle.

Auf diese Gruppe von Verteilungen werden wir uns daher zunächst konzentrieren. Zu ihr gehören vor allem die konstante Verteilung, die Dreiecks- und die PERT-Verteilung, aber auch die Gleichverteilung und die Trapezverteilung. Mit ihnen modellieren viele Unternehmen sämtliche Risiken. Weniger bekannt ist die modifizierte PERT-Verteilung, die einen Formparameter mitbringt, mit dem man das Abflachen der langen Seite einstellen kann, und Custom-Verteilungen, bei denen der Anwender den Verlauf selbst zeichnen kann.

Alle diese Verteilungen sind auf beiden Seiten begrenzt. Auf einer oder beiden Seiten unbegrenzte Verteilungen werden seltener mit Experteneinschätzungen parametrisiert. Wo sie dennoch verwendet werden, kommen meist die Normal- und die lognormal-Verteilung zum Einsatz. Mitunter auch die Weibullverteilung. All dies sind klassische Lehrbuchverteilungen.

Der Status Quo ist also an einer ganz pragmatischen Leitregel orientiert. ‚Verwende Verteilungen, die du kennst und die du parametrisieren kannst.‘ Wir werden im Folgenden diese Verteilungen portraitieren, auf ihre Verwendung eingehen und zeigen, wie man sie mit Experteneinschätzungen und Algorithmen parametrisieren kann.

Im Enterprise Risk Management zerfällt die Modellierung von Risiken in zwei Schritte. Zunächst wird der Eintritt von Risiken dargestellt, im zweiten Schritt die Auswirkung des Risikos für den Fall, dass es zu einem Eintritt kam.

Wir nehmen diese Zweiteilung als Gliederung und Gruppieren die Darstellung in Verteilungen, die die Eintrittsseite eines Risikos modellieren, und Verteilungen, die für die Beschreibung der möglichen Schadenhöhen verwendet werden.


 

1.Verteilungen für den Eintritt des Risikos

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Verteilungen, die die Eintrittsseite eines Risikos modellieren, zählen, wie häufig sich das Risiko in einer Periode auch wirklich materialisiert.

Hierfür können grundsätzlich alle Verteilungen verwendet werden, die die Zählzahlen 0, 1, 2, 3 usw. als Werte annehmen. In der Praxis werden jedoch im Wesentlichen drei Verteilungen diskutiert und zwei davon auch tatsächlich verwendet. Dies sind die Bernoulli-, die Poisson- und die Binomialverteilung, wobei die ersten beiden praktische Anwendung finden.


 

1.1.Bernoulli-Verteilung

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Die Bernoulli-Verteilung ist das klassische Eintrittsmodell im Enterprise Risk Management. Ihre Stellung stammt noch aus der Zeit, als ein Risiko durch eine Eintrittswahrscheinlichkeit und eine Auswirkung – jeweils zwei Zahlen – dargestellt wurde. Der Anwendungsfall waren sehr spezifisch beschriebene operationelle Risiken in einer ein-Perioden-Betrachtung.

Die Bernoulli-Verteilung beschreibt einen verallgemeinerten Münzwurf. Es gibt genau zwei Zustände. Ein Ereignis („Kopf“ oder auf unseren Fall übertragen „Risiko realisiert sich“) tritt ein oder nicht. Mehrfach-Eintritte sind nicht möglich.

Abbildung 1 - Die Bernoulli-Verteilung auf der Risk Kit Toolbar

Die Verteilung hat einen Parameter, die Eintrittswahrscheinlichkeit P des betrachteten Risikos.

Abbildung 2 - Eingabedialog der Bernoulli-Verteilung in Risk Kit

Die Eintrittswahrscheinlichkeit (EW) wird im ERM in den meisten Fällen durch Experteneinschätzung bestimmt. Dies ist auch notwendig, weil im ERM viele Risiken in die Analyse eingehen, die im Alltag bisher nicht vorgekommen sind, aber als möglich erachtet werden.

Wenn Risikoerfahrungen im Unternehmen vorliegen, kann die EW auch durch die Anzahl der beobachteten Eintritte des Risikos geteilt durch die Anzahl der Beobachtungsjahre geschätzt werden. Wenn das Risiko also z.B. zweimal in den letzten 10 Jahren eingetreten ist, würde nach dieser Logik die EW auf 20% geschätzt werden.

Um den Umfang der Risikokenntnis zu verbreitern, ist es durchaus möglich Erfahrungen aus dem Markt mit einzubeziehen. Wenn ein Risiko bei anderen Firmen vorgekommen ist, spricht u.U. viel dafür, dass es auch im eigenen Haus passieren kann.

Die Auswertung von Daten für die Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit ist umso sicherer möglich, je mehr repräsentative Eintritte für das Risiko vorliegen. Sie wird umso schwieriger und fehleranfälliger je seltener das Risiko eintritt. Wenn im Extremfall das Risiko noch nie vorgekommen ist, kommt man nicht ohne Experteneinschätzungen zum Ziel.

In der Simulation nimmt die Bernoulli-Verteilung die Werte 0 und 1 an. Die 1 repräsentiert den Eintritt des Risikos.

Abbildung 3 - Bernoulli-verteilte Zufallszahl

Diese Eigenschaft der Bernoulli-Verteilung, dass bei ihr ein Risiko entweder nicht oder genau einmal eintreten kann, aber niemals mehrfach, ist ein wesentliches Kriterium für ihre Anwendung.

In vielen ERM-Modellen, die die Entwicklung von Risiken über mehrere Perioden betrachten, entsteht durch die Bernoulli-Verteilung eine Inkonsistenz im Modell. Bei Mehr-Perioden-Modellen wird der Risikoeintritt in jeder Periode simuliert. Ist ein Bernoulli-verteiltes Risiko in Periode 1 in einem Simulationslauf eingetreten, ist dieses Risiko fortan für die Periode gesperrt und kann nicht weiter eintreten. Kaum hat aber das nächste Geschäftsjahr (Periode 2) begonnen, wird das Risiko wieder freigeschaltet und kann ab Januar wieder eintreten.

Derselbe Widerspruch ergibt sich, wenn Perioden geteilt werden. Wechselt man in einem Bernoulli-Modell von einer Jahres- zu einer Quartalsbetrachtung kann das Risiko über den ursprünglichen Zeitraum eines Jahres plötzlich viermal so häufig eintreten wie zuvor. Geht man umgekehrt z.B. für strategische Risiken zu einer 5-Jahres-Betrachtung über, wird das Risiko seltener eintreten, selbst wenn die Eintrittswahrscheinlichkeiten richtig auf die veränderten Zeiträume angepasst werden.

Die Bernoulli-Verteilung als Modell für das Vorkommen eines Risikos ist am besten geeignet, wenn dieses Risiko überhaupt nur einmal vorkommen kann unabhängig von der Abgrenzung der Perioden.

Für den ursprünglichen Anwendungsfall ‚spezifische operationelle Risiken bei einer Periode Betrachtungshorizont‘ ist dieses Kriterium sehr gut erfüllt. Ein spezifisches Produkt wird nur einmal vom Markt genommen. Eine namentlich genannte Brücke stürzt nur einmal ein usw.

Bei allgemeiner formulierten Beschreibungen operationeller Risiken ändert sich dies (‚Eins unserer Produkte muss vom Markt genommen werden.‘, ‚Ein Lieferweg wird unpassierbar und die Lieferkette unterbrochen.‘) Analog bei erweiterten Risikobegriffen.

Eine Erweiterung der Modellierung von Risikoeintritten erlaubt daher Mehrfach-Eintritte eines Risikos in einer Periode. Die beiden wichtigsten Werkzeuge dafür sind die Binomial- und die Poisson-Verteilung.

Mathematisch gesehen ist die Bernoulli-Verteilung der Baustein aus dem diese beiden (und viele weitere) Verteilungen konstruiert sind. Es handelt sich also um eine direkte Verallgemeinerung.


 

1.2.Binomial-Verteilung

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Eine Binomial-Verteilung entsteht, wenn wir eine feste Anzahl n von Bernoulli-Experimenten, bei denen nur 0 oder 1 (Erfolg oder Misserfolg, Risiko bleibt aus oder Risiko tritt ein) herauskommen kann.

Die Gesamtzahl der Erfolge bei n Versuchen nimmt einen Wert in den Zählzahlen 0, 1, 2, …, n an.

Beispiel: Wenn ich einen Windpark aus 8 Windkraftanlagen betreibe und eine Anlage nicht ohne Weiteres ersetzen kann, können gleichzeitig 0 bis 8 Windräder ausfallen.

Abbildung 4 - Die Binomial-Verteilung auf der Risk Kit Toolbar

 

Die Binomialverteilung hat zwei Parameter. Die Anzahl der Versuche n und die Erfolgswahrscheinlichkeit in jedem Versuch p.

Abbildung 5 - Eingabedialog der Binomial-Verteilung

Abbildung 6 - Binomialverteilte Zufallszahl

Eine wichtige Annahme der Binomialverteilung ist, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit bei jedem Experiment gleichbleibt. In der Praxis kann dies stimmen, es kann aber auch eine Einschränkung sein.

Bei dem Windpark im Beispiel wäre die Annahme gleicher Eintrittswahrscheinlichkeiten für das Risiko des Ausfalls einer Windkraftanlage gut erfüllt, wenn sich die Anlagen in Modell, Belastung und Alter sehr ähnlich wären. Ist der Park aber gemischt aus kleineren und größeren Anlagen unterschiedlicher Typen und bisheriger Betriebsdauern, wäre es u.U. realistischer für jede Anlage ein eigenes Risiko zu betrachten.

Die Binomialverteilung als Modell für die Anzahl der Anlagenausfälle, wäre auch dann nicht ideal geeignet, wenn eine Anlage nur vorübergehend ausfiele und nach Reparatur erneut in Produktion ginge. In diesem Fall wäre es möglich, dass einzelne Räder mehrfach ausfielen und in Einzelfällen mehr Ausfälle einträten als es Anlagen im Park gibt.

In einem Mehr-Perioden-Modell kann es bei Verwendung der Binomialverteilung zu einer Abhängigkeit zwischen den Perioden kommen, wenn sich die maximale Eintrittshäufigkeit in einer Periode durch die Anzahl der Schäden in einer Vorperiode ändert.

Sind in dem Beispiel zwei Windkraftanlagen in Periode 1 nachhaltig ausgefallen, bleiben bis auf Weiteres in den Folgeperioden nur 6 der ursprünglichen Anlagen erhalten, so dass der Wert von n hier neu gesetzt werden müsste. Zusätzliche Schäden würden die Zahl der noch intakten Anlagen weiter reduzieren.

Durch eine Zerlegung des Risikos in ein Risiko pro Anlage, die nach Ausfall endgültig demontiert wird, kann auch dieser Fall analog zu oben vereinfacht werden, so dass sich die zeitlichen Abhängigkeiten von alleine ergeben.

Aufgrund dieser Komplexitäten und der generellen Möglichkeit das Risiko in Risiken mit Bernoulli-verteilten Eintritten zu splitten wird die Binomialverteilung für die Modellierung von Eintrittshäufigkeiten von Risiken im ERM sehr selten eingesetzt.

Im ERM ist durch die unternehmensweite Verwendung des Modells und die Beteiligung einer großen Anzahl Personen im Allgemeinen eine gewisse Standardisierung der Modellkomponenten gewünscht.

In technischen Modellen von Großanlagen ist es anders. Hier sind Detaildarstellungen von kleineren, in sich homogenen Anlagenverbünden, wie im Beispiel des Windparks geschildert, ein Standardelement, in dem die Binomialverteilung einen zentralen Platz hat.

 

 

1.3.Poisson-Verteilung

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Wenn ein Ereignis über einen Zeitraum mit gleichbleibender Wahrscheinlichkeit (‚Intensität‘) eintritt und diese Eintritte voneinander unabhängig sind, ist seine Eintrittshäufigkeit Poisson-verteilt.

Sie nimmt Werte auf den Zählzahlen 0, 1, 2, …. an.

Abbildung 7 - Die Poisson-Verteilung auf der Risk Kit Toolbar

Ihre Parametrisierung erfolgt über die erwartete Eintrittshäufigkeit lambda des Risikos. Dies ist ein großer Vorteil der Verteilung im Kontext des ERM-Prozesses, da die erwartete Eintrittshäufigkeit für Experten klar verständlich ist und deshalb gut begründet ermittelt werden kann. Sie kann als Erwartungswert der Eintrittshäufigkeiten auch sehr gut aus Daten gewonnen werden, wenn solche vorliegen.

Beispiel: Im Beispiel des Windparks ist die Anzahl der Flauten, also der windarmen Perioden einer gewissen Mindestdauer, ein wichtiger Faktor für die Qualität des Standortes und der Rentabilität der Anlage.

Aus den Wetterdaten der vergangenen Jahre kann die erwartete Anzahl der Flauten pro Jahr ermittelt werden.

 

Abbildung 8 - Eingabedialog der Poisson-Verteilung

In diesem Beispiel ist es eine wichtige Eigenschaft der Poisson-Verteilung, dass wir keine maximale Anzahl von Flauten angeben müssen.

 

Abbildung 9 - Poisson-verteilte Zufallszahl

 

Poisson- und Binomial-Verteilung sind in vielen Fällen näherungsweise austauschbar. Dies ist immer dann der Fall, wenn die erwartete Eintrittshäufigkeit lambda = n * p klein ist gegenüber n. Die Abweichungen zwischen beiden Verteilungen sind dann in der Regel so klein, dass sie im ERM-Prozess keine praktische Rolle spielen. Beide Verteilungen werden sogar gleich, wenn für eine gegebene erwartete Eintrittshäufigkeit n groß wird.

Abbildung 10 gibt ein Beispiel für den Vergleich beider Verteilungen für lambda = 1,5, p = 15% und n = 10.

 

Abbildung 10 - Poisson- und Binomialverteilung im Vergleich

Aufgrund dieser Eigenschaften ist die Poisson-Verteilung im ERM das am weitesten verbreitete Modell für die Darstellung von Häufigkeiten.

 

 

2.Verteilungen für die Auswirkungen des Risikos

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Um ein Risiko vollständig zu bewerten, ist nach der Beschreibung des Eintritts des Risikos die Schadenhöhe nach Eintritt relevant. Hierbei wird generell davon ausgegangen, dass jeder Eintritt einen individuellen Schaden verursacht. Wenn ein Risiko also mehrfach auftritt, ergibt sich der Gesamtschaden als Summe der Einzelschäden. Wir werden im Abschnitt über die Compound-Verteilung im Einzelnen darauf eingehen, die eine zufällige Anzahl Schäden einer jeweils zufälligen Höhe auswertet.

Die in den Unternehmen früher am häufigsten eingesetzte Verteilung für den einzelnen Schadeneintritt ist die konstante Verteilung. Diese punktförmige Darstellung wird oft als unrealistisch empfunden. Man versucht sie daher durch Bandbreiten zu ersetzen. Diese Bandbreiten können durchaus auch Chancen einschließen. Verteilungen, die hierfür oft verwendet werden, sind die Gleich-, die Dreiecks-, die PERT- und die Trapezverteilung.

Alle diese Verteilungen stehen in direkter Beziehung zur klassischen betriebswirtschaftlichen Best- und Worst-Case-Betrachtung und wurden ursprünglich für die Abschätzung operationeller Risiken, also Betriebsschäden, verwendet. In diesen Fällen ist ein Worst-Case im Sinne eines ‚abreißen und neu bauen‘ oft gut definiert.

Anders verhält es sich bei Risiken, deren Auswirkungen nicht so einfach nach oben begrenzt werden können. Was ist etwa der Worst-Case bei einer Pandemie? Manche Firmen sind genau an dieser Stelle mit einer realistischen Bewertung der Risiken gescheitert. Sie haben immerhin die Pandemie im Risikoinventar erfasst (was die meisten betroffenen Firmen nicht getan haben), aber die Auswirkungen um das zigfache unterschätzt. Die Bewertung wird durch einen solchen Fehler schnell Makulatur.

Für diesen Anwendungsfall oft verwendete Verteilungen sind die lognormal und die Weibull-Verteilung. Beide sind Extremwertverteilungen und können daher mit kleiner Wahrscheinlichkeit potentiell auch sehr große Werte annehmen.


 

2.1.Konstante Verteilung

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Risikomanagement-Lehrbücher der Vergangenheit haben ein Risiko durch eine Eintrittswahrscheinlichkeit und eine Auswirkung beschrieben. Die Auswirkung ist dabei eine feste Zahl. Diese ‚konstante Verteilung’ ist auch heute noch in vielen Unternehmen Stand der Dinge.

Die Darstellung eines Risikos durch zwei Werte hat Vorteile.

  • Ein Risiko hat einen kurzen und präzise aussehenden Steckbrief.

  • Alle Risiken sind standardisiert. Ganz unterschiedliche Risikoarten lassen sich so gut reporten.

  • Risikoquantifizierung erscheint einfach.

  • Beide Größen (‚EW und AW‘) können einander grafisch gegenübergestellt werden. Ggf. kategorisiert und mit farblichen Abstufungen unterlegt ergibt sich so die Risikolandkarte.

Die konstante Verteilung ist in ihrer technischen Umsetzung so einfach, dass man keine Hilfsmittel dafür braucht. Sie liefert Zufallszahlen, die man schon im Vorhinein kennt, so dass man sie gar nicht ziehen muss. Sie kann in Excel durch eine einfache Zahl dargestellt werden.

Abbildung 11 - Die konstante Verteilung in Excel

 

Bei genauem Hinsehen entpuppt sich die Beschreibung der Auswirkung eines Risikos durch eine feste Zahl allerdings oft als wohlmeinende Illusion. Nur bei wenigen Risiken ist die genaue Schadenhöhe bei Eintritt im Vorhinein bekannt. Eine drohende Konventionalstrafe oder der sichere Ersatz eines Verschleißteils könnten solche Fälle sein.

In den meisten Kontexten kann man die Auswirkungen eines Risikos aber realistischerweise nur als Bandbreiten festmachen, oft als sehr weite Bandbreiten.


 

2.2.Die Gleich- oder uniforme Verteilung

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Wenn man dem Paradigma einer Bandbreite für die möglichen Schäden nach Risikoeintritt folgt, entspricht die Gleichverteilung diesem Bild auf natürliche Weise.

Abbildung 12 - Die Gleichverteilung auf der Risk Kit Toolbar

Sie nimmt Werte zwischen einem Minimum A und einem Maximum B an und ihre Dichte hat genau die Form eines Bandes.

Abbildung 13 - Eingabedialog der Gleichverteilung

Jedem Wert zwischen A und B wird die gleiche Wahrscheinlichkeit zugewiesen.

 

Abbildung 14 - Gleichverteilte Zufallszahl

 

Gleichverteilte Zufallsereignisse kommen in vielen Spielen vor, oft in ihrer ganzzahligen Version. Die Seiten eines Würfels liegen gleichverteilt oben. Spielkarten werden gleichverteilt gemischt. Die Kugel eines Roulette-Rades wählt eine Ziffer gleichverteilt aus. Die Gleichverteilung ist hier geradezu der Inbegriff von Fairness.

Wir können uns diese Eigenschaft im ERM nutzbar machen.

Wenn wir im Beispiel des Windparks Daten über die Länge der Flauten der letzten Jahre hatten, können wir die beobachteten Datensätze nummerieren und eine Nummer über die Gleichverteilung ziehen. Die Kosten der simulierten Flaute ergeben sich dann als Länge der gezogenen Flaute mal Umsatzausfall pro Zeiteinheit.

Wir ersparen uns bei diesem Vorgehen die Notwendigkeit die Verteilung der Flautenlängen zu ermitteln und können direkt auf die beobachteten Daten zugreifen. Wir werden allerdings auch nie eine Flaute simulieren, die länger ist, als die längste Beobachtung in unserer Stichprobe.

Weitere näherungsweise gleichverteilte Größen sind die genaue Stelle, an der eine Pipeline leck wird, ein Seil reißt oder ein Kabel bricht.

Obwohl sie das Bild der Bandbreite so direkt aufnimmt, ist die Gleichverteilung im ERM oft nicht unmittelbar plausibel. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich die Dichte nicht stetig entwickelt. Schäden außerhalb von A und B haben die Dichte 0. Werte in diesem Bereich werden nicht angenommen. Genau an A springt die Dichte dann aber auf ein hohes Niveau, bleibt dort bis B erreicht ist und fällt dann abrupt zurück auf 0.

Verständlicher wäre ein Modell, in dem der nicht angenommene Bereich nahtlos in den Bereich übergeht, in dem sich die Schäden bewegen. Dies wird gleich Anlass sein, weitere Verteilungen einzuführen.

Genau dieser Nachteil der Gleichverteilung, dass nämlich Schäden in den extremen Enden A und B des Wertebereichs mit unrealistisch hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, ist paradoxerweise ein Grund warum oft zumindest übergangsweise zur Gleichverteilung gegriffen wird.

Zum einen kann die Wahl der Verteilung signalisieren, dass die genaue Form des Häufigkeitsverlaufs im Schadenbereich entweder nicht bekannt ist oder nicht untersucht wurde. So etwas wie ein wahrscheinlichster Wert oder die genauere Form der Verteilung sind dann nicht bekannt. Hier wird also eine Näherungslösung deutlich gemacht (Indifferenzprinzip von Pierre-Simon Laplace).

Zum anderen schwankt die Gleichverteilung auf dem Wertebereich stärker als die Alternativen Dreieck, PERT oder Trapez. Das Gesamtrisiko wird daher sensitiver auf diesen Risikofaktor als bei Wahl eines anderen Modells. Wenn ein Risiko daher bei Wahl der Gleichverteilung keinen großen Einfluss auf das Ergebnis hat, wird sich daran auch bei verfeinerter Darstellung der Auswirkungen wenig ändern. Die Wahl der Extremwerte A und B ist dann zunächst entscheidend. Sind sie korrekt, lohnt sich eine differenziertere Darstellung der Auswirkungsverteilung u.U. nicht und es kann mit Fug und Recht vom o.g. Indifferenzprinzip Gebrauch gemacht werden.


 

2.3.Dreiecks-, PERT- und modfizierte PERT-Verteilung

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Die Dreiecks- und die PERT-Verteilung sind bei der Gestaltung der Bandbreite möglicher Schäden aus einem Risiko eine wichtige Alternative zur Gleichverteilung. Der Schadenverlauf gliedert sich hier über drei Punkte, dem Minimum, dem Modus und dem Maximum.

Der Modus ist der Hochpunkt der Dichte der Verteilung. Er wird auch als ‚wahrscheinlichster Wert‘ bezeichnet, da die Wahrscheinlichkeit am größten ist, in einer Umgebung um diesen Punkt Schäden zu beobachten.

Die Bestimmung dieser Eckdaten ist über die Fragen ‚In welchem Bereich liegen die Schäden minimal?‘, ‚In welchem Bereich liegen die Schäden maximal?‘ und ‚In welchem Bereich rechnen wir am ehesten damit Schäden zu sehen?‘ sehr gut auch für Risikoexperten möglich, die sich im Alltag normalerweise nicht mit der Parametrisierung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschäftigen. Diese suggestive Kraft ist so stark, dass viele Firmen ihr ganzes ERM nur mit diesen beiden Schadenverteilungen bestreiten.

Abbildung 15 - Die Pert- und die Dreiecks-Verteilung auf der Risk Kit Toolbar